38# Geschäftsbereichsstrategie: wie dir die digitale und kulturelle Transformation gelingt

38# Geschäftsbereichsstrategie: wie dir die digitale und kulturelle Transformation gelingt

Auch in 2023 müssen sich Unternehmen weiterhin bemühen, mit der technologischen Entwicklung Schritt zu halten und ihre Prozesse und Geschäftsmodelle entsprechend anzupassen. So ist die digitale Transformation über Jahre zu einem unüberhörbaren Schlagwort in der Unternehmenswelt geworden. Ein solches Unternehmen ist Mitsubishi Electric Europe, ein weltweit führender Konzern in der CNC-Branche. Roman Gaida, heutiger Head of Division EMEA, wechselte 2017 mit hochgekrempelten Ärmeln zu Mitsubishi, um dort längst überfällige Veränderungen anzustoßen.

In diesem Beitrag gehen wir gemeinsam mit Roman Gaida und Christian Underwood auf die Reise der  digitalen und kulturellen Transformation. Angefangen bei den Zielen und Herausforderungen bis hin zu den Erfolgsstrategien. Beide untersuchen, wie Roman die technischen und organisatorischen Aspekte der Transformation angegangen ist und wie es ihm gelungen ist, Veränderung, Innovation und Mensch in Einklang zu bringen.

Ein kurzer Überblick: Wie kam Roman Gaida zu Mitsubishi Electric Europe und was macht das Unternehmen

Neben dem eigentlichen Hauptthema dieser Podcast-Folge, fundamentale Veränderungen in festgefahrenen Unternehmen anzustoßen, zeigt auch die berufliche Entwicklung Romans, dass es für tiefgreifende Transformationen nie zu spät ist. Nachdem Gaida sechs Jahre lang als Zerspanungsmechaniker in Schichtarbeit arbeitete, machte er nebenberuflich eine Ausbildung zum Maschinenbautechniker und holte sein Fachabitur nach.

Mit 27 Jahren begann er anschließend Wirtschaftsingenieurwesens an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg zu studieren und startete anschließend 2013 bei Oerlikon in der Schweiz, wo er knapp vier Jahre für das Global Business Development zuständig war. Während dieser Zeit absolvierte er einen Executive MBA der RWTH Aachen in Kooperation mit der Universität Sankt Gallen und besuchte Weiterbildungen an MIT und Stanford. Außerdem schrieb er zweieinhalb Bücher und ist heute Co-Host des erfolgreichen Podcasts “Working Dad”. Genau so erfolgreich, wie seine berufliche Transformation verlaufen ist, sollte dann auch der digitale Wandel bei Mitsubishi Electric vonstattengehen.

Bevor wir tief in die Materie eintauchen, gehen wir einen Schritt zurück und schauen uns an, was Mitsubishi Electric Europe CNC eigentlich konkret anbietet. Das Unternehmen produziert Steuerungen, Antriebe und Software für Werkzeugmaschinen wie Dreh-, Fräs- und Schleifmaschinen. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch Serviceleistungen für Kunden im Wirtschaftsraum Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) an.

Obwohl Mitsubishi Electric selbst in verschiedenen Branchen (Automotive, Transportation, Halbleiterindustrie, Gebäude-Management, Aufzüge und Robotik) tätig ist, hat sich der Bereich CNC auf den Bereich der Werkzeugmaschinen spezialisiert.

Die Ausgangslage und Zielsetzung des europaweiten Programms zur digitalen Transformation bei Mitsubishi Electric Europe

Als Roman 2017 nach seiner Zeit bei Oerlikon zu seiner neuen Position als Head of Sales und Marketing in der Division CNC bei Mitsubishi Electric Europe wechselte, startete er mit dem umfassenden Anliegen, ein europaweites Programm zur digitalen Transformation umzusetzen.

Doch was versteht man nun eigentlich unter einer digitalen Transformation im Unternehmenskontext? Sie bezeichnet den Prozess, bei dem innovative Technologien in sämtliche Bereiche des Geschäftslebens integriert werden - von alltäglichen Abläufen bis hin zur strategischen Entscheidungsfindung. Dabei geht es nicht nur um die Umstellung von analogen auf digitale Verfahren, sondern auch um einen umfassenden Wandel in der Unternehmenskultur. Sie ermöglicht Unternehmen, sich an die wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen der Kund:innen anzupassen und ihre eigenen Geschäftsprozesse zu optimieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die Ausgangslage bei Mitsubishi Electric CNC war allerdings zäh und geprägt von einem historisch gewachsenen Geschäftsbereich. Es hatten sich ineffiziente Arbeitsprozesse eingeschlichen und ihr Inselwissen bot nur wenig Raum für Wachstum. Daher war die Zielsetzung des Programms, durch Modernisierung skalierbarer zu werden, Prozesse zu vereinfachen und dadurch Ressourcen für Wachstum zu schaffen.

Zunächst die kulturelle Veränderung anstoßen: Erst das digitale Mindset schaffen und die Mitarbeiter:innen abholen

Um diese Herausforderungen zu bewältigen, stieß Roman zu einer Gap-Analyse im gesamten europäischen Bereich an. Alle Bereiche, von der Technologie bis zur Verwaltung, wurden untersucht, um zu ermitteln, was verbessert werden konnte. Dabei standen sowohl das KPAX- als auch das OPEX-Management im Vordergrund. Statt mit seiner Kritik wie mit der Tür ins Haus zu fallen, entschied Roman sich für Zurückhaltung. Er hat sich Zeit gelassen, den Leuten zugehört, überall mal mitgearbeitet und geschaut, wo es Veränderung braucht.

Wie so häufig tendierten zunächst die Ingenieure im Unternehmen dazu, die Veränderung vorerst nur anhand von neuen IT-Tools und digitalisierten Prozesseinführungen voranzutreiben. Das dafür aber erst ein Veränderungs-Mindset bei den Mitarbeiter:innen geschaffen werden muss und auch die Schnittstellen zwischen den Abteilungen verbunden werden müssten, wurde zunächst außer Acht gelassen. In der Praxis scheinen viele Unternehmen den Fehler zu machen, das Organigramm zuerst umzustrukturieren, anstatt die Mitarbeiter:innen vorerst auf diese Umstrukturierung vorzubereiten. Christian bezeichnet das als "Strategy follows Structure".

Roman und Christian sprechen darüber, wie wichtig es ist, bei der digitalen Transformation auch eine kulturelle Veränderung im Unternehmen anzustoßen. Das Fazit: Es reicht nicht aus, nur die Technologien und Prozesse zu ändern - die Mitarbeiter:innen müssen auch mitgenommen werden. Denn ohne die richtige Einstellung und die Bereitschaft zur Veränderung der Belegschaft, kann die digitale Transformation nicht erfolgreich zu Ende gebracht werden.

Den Gegenwind einfangen und einen “Sense of Urgency” schaffen

Doch, wenn sich die Mitarbeiter:innen der absoluten Notwendigkeit der Veränderung nicht bewusst sind, kommt diese nur zäh zustande. 2017 konnte es für die Maschinenbauindustrie nicht besser laufen, daher war der Tonus des Gegenwindes deutlich: Warum braucht es dann überhaupt Veränderung?

Roman beschreibt, wie er erst nach John Kotter den "Sense of Urgency" schaffen musste, um die Mitarbeiter:innen von der Notwendigkeit der Veränderung zu überzeugen. Er organisierte daraufhin das erste Town Hall Meeting der Unternehmensgeschichte, um den damaligen 80 Mitarbeiter:innen am Standort zu verdeutlichen, dass Veränderung eine präventive Maßnahme sei. Und diese Erkenntnis gilt bis heute: Es ist wichtig, den "Change-Muskel" schon frühzeitig zu trainieren und so den strategischen Weitblick zu entwickeln. Nur so können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Veränderungen gewonnen und das Unternehmen erfolgreich in die digitale Zukunft geführt werden.

“Verglichen daran, was Uber mit dem Taxi-Markt und Airbnb mit dem Hotelmarkt gemacht hat, habe ich versucht zu erklären, wann der richtige Zeitpunkt für Veränderung ist. Der ist nicht da, wenn wir in Not sind. Weil da müssen wir diesen Change-Muskel schon trainiert haben. Nicht erst, wenn wir es brauchen, sondern man es muss vorher machen.” - Roman Gaida

Digitale Transformation beginnt bei den Führungskräften? Durch Coaching und Feedbackkultur den Führungsstil verbessern

Die geplante digitale Transformation begann in der obersten Etage - bei den Führungskräften. In gemeinsamen Offsite wurde zunächst darüber gesprochen, wie sie überhaupt selbst geführt werden möchten. Dabei wurde die Eigen- und Fremdwahrnehmung überprüft, um zu erkennen, wie jene Kräfte tatsächlich führen und wie sie ihre Mitarbeiter:innen motivieren - oder eben auch demotivieren. Danach wurden sie ein Jahr lang im “Geheimen” gecoacht.

Nach einem Jahr wurde abschließend über eine Online-Umfrage untersucht, wie und ob sich ihr Führungsstil verändert hat und in welchem Ausmaß die Mitarbeiter:innen dies wahrgenommen haben. Das Ziel dabei war, dass die Führenden aus diesen Umfragen selber schließen können, in welche Richtung sie sich entwickelt haben und so aus den Ergebnissen ein organischer “Sense of Urgency” entsteht. Diese Umfrage wird aktuell nach drei Jahren wiederholt, um konsequent eine Spiegelfläche für die Führungsetage zu liefern.

Als Schwachpunkt entpuppte sich, dass das Thema Führung bisher in der Organisation oft nebenher behandelt wurde. Es gab außerdem auch unterschiedliche Vorstellungen davon, was Führung bedeutet. Einige Führungskräfte wurden als Konsequenz in ihrer Funktion entlassen oder in andere Stellen innerhalb des Unternehmens versetzt, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Führungsqualitäten neu zu erlernen oder einen Ausstieg zu finden. Roman betont, dass es dabei darum geht, sensibel mit den Veränderungen umzugehen, um jene Menschen im Unternehmen zu halten und zu fördern.

Welchen Platz findet das Thema New Work in einer kulturellen und digitalen Transformation?

Der Begriff New Work existiert bereits seit den 70er Jahren und wurde von dem Sozialphilosophen Frithjof Bergmann ins Leben gerufen. Er beschreibt einen modernen Ansatz zur Gestaltung von Arbeitsumgebungen und -bedingungen, der auf Selbstbestimmung, Flexibilität und Zusammenarbeit basiert. Es geht letztlich darum, traditionelle Hierarchien aufzubrechen und eine Kultur der Offenheit und Agilität zu fördern.

Über die Prüfung der Führung gelang es Roman, Zugang zu den Mitarbeiter:innen und deren Bedürfnisse zu gewinnen. In Bezug auf New Work sollten während der digitalen Transformation nicht nur herkömmliche Themen wie Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten angestoßen werden, es geht viel mehr um das Prinzip von Fordern und Fördern.

Selbstwirksamkeit und Verantwortung: Schlüsselbegriffe für eine positive Arbeitsatmosphäre

Roman betont, dass es letztlich gar nicht darum ging, den Mitarbeiter:innen ein Gefühl von Zufriedenheit zu geben, sondern ein Gefühl von Selbstwirksamkeit. Dieses entsteht, wenn Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben, mitzugestalten und mitzuentscheiden, wenn sie auf dem Weg abgeholt werden, Transparenz in der Informationsweitergabe von Führungskräften haben und wenn sie ernst genommen und wahrgenommen werden.

Doch mit Selbstwirksamkeit geht heute bei Mitsubishi Electric CNC auch Verantwortung einher. Die Mitarbeiter:innen können sich nicht einfach nur über eine Situation beschweren, sondern müssen Vorschläge machen, wie sie diese verbessern können. Durch diese Art der Zusammenarbeit kann eine positive Arbeitsatmosphäre geschaffen werden, in der die Mitarbeiter:innen das Gefühl haben, dass ihre Meinungen und Ideen gehört werden und dass sie in der Lage sind, positive Veränderungen zu bewirken. Und das wird erreicht, indem Mitarbeitende befähigt und nicht nur delegier werden. Dabei geht es auch um Verantwortung und die Bereitschaft, aus der Komfortzone herauszutreten, auch als Führungskraft. Es geht darum, einen psychologisch sicheren Raum zu schaffen, in dem offenes Feedback möglich ist und Missstände diskutiert werden können.

Technologische Innovationen und kulturelle Anpassungen: Ein neues Gesamtbild des Unternehmens

5 Jahre ist es nun her, dass Roman jene digitale Transformation angestoßen und erfolgreich durchgeführt hat. Heute zieht er eine positive Bilanz: Die Phase der Skalierung und des Harvestings sei angebrochen. Schaut man auf die Transformation zurück, ergibt die Summe aller einzelnen Veränderungen das neue Gesamtbild. So haben sie beispielsweise einen zuvor outgesourcten Robot-Service wieder ins Unternehmen zurückgeholt und remote Services eingeführt, die es Mitarbeitenden ermöglichen, den Service über Google Glasses direkt vor Ort beim Kunden durchzuführen. Zudem wurden Chatbots implementiert, um technische Lösungsfindungen zu unterstützen und NLP-Analysen in Mentoring-Programme integriert.

Doch nicht nur technologische Innovationen wurden eingeführt, auch die Kultur und Struktur des Unternehmens wurden angepasst. Neue Meeting-Kulturen wurden etabliert und sogar Schlaftrainings für Führungskräfte angeboten. Durch europaweite Mentoring-Programme und ein neues Innovations- und Kompetenzzentrum für Europa konnte das Unternehmen bei fast gleicher Belegschaft seine Wettbewerbsfähigkeit steigern. All diese Veränderungen und Anpassungen haben dazu geführt, dass der Geschäftsbereich schneller am Markt agieren kann und Ideen oder Produkte so auch schneller auf den Markt bringen kann. Um eine erfolgreiche Transformation zu erreichen, ist es manchmal wichtig, Risiken einzugehen und an den Rändern der eigenen Möglichkeiten zu bleiben.

Romans Tip: Wie man eine digitale Transformation erfolgreich anstößt

 Abschließend gibt Roman jenen Unternehmer:innen Starthilfe, die solch eine digitale Transformation selbst einmal anstoßen wollen. Roman empfiehlt, sich zunächst Zeit zu nehmen und nichts zu überstürzen. Das ermöglicht es, die aktuelle Situation zu evaluieren, sich einen Überblick zu verschaffen und potenzielle Probleme zu erkennen. Es ist ratsam, zuzuhören und sich Zeit zu nehmen, um die Bedürfnisse und Anforderungen der Beteiligten zu verstehen, bevor man Maßnahmen ergreift. Durch das Zuhören und Beobachten können die wirklich wichtigen Dinge identifiziert werden, die den Erfolg des Transformationsprozesses sicherstellen.